Certamen 2022
Flucht und Vertreibung als menschliche Grunderfahrung – die Frage nach einem „gerechten Krieg“ – das Erbe des Tantalos – Polyphem und die Phaiaken in der Odyssee
Zum Certamen Franckianum vicesimum sextum: der Landesschülerwettbewerb des Landes Sachsen-Anhalt für die alten Sprachen in seinem 26. Jahr: Schuljahr 2021/2022
Sie haben richtig gelesen: ein vielfältiges Angebot unterschiedlichster Vorträge ließ schon sehr bald eine große Vorfreude auf die Endrunde im Oberstufenwettbewerb des Certamen Franckianum entstehen.
Doch bevor ich zum Wettbewerb der „Großen“ komme, lassen Sie mich zuerst einen Blick auf die Wettbewerbe der Unterstufe und der Mittelstufe werfen – auch hier haben sich die Telnehmerinnen und Teilnehmer große Mühe gegeben und tolle Arbeiten eingereicht.
Certamen puerile
In diesem Wettbewerb nehmen Schülerinnen und Schüler der Klassenstufen 6 bis 8 teil; sie sollten sich mit einer Erzählung aus den „Gesta Romanorum“ beschäftigen. In dieser Geschichte erbt ein junger Mann von seinem Vater drei wundervolle Gegenstände, die ihn durch ein Leben mit vielen Rückschlägen, Prüfungen und glücklichen Fügungen führen.
Die Schülerinnen und Schüler analysierten den Beginn der Geschichte und schrieben eine freie und kreative Weiterführung.
Die Preisträger waren:
Erster Platz: Philip Le (Georg-Cantor-Gymnasium in Halle)
Zweiter Platz: Lilli Berthold, Oskar Völker, Finn Wächter (Georg-Cantor-Gymnasium in Halle)
Dritter Platz: der dritte Platz konnte leider nicht vergeben werden
Certamen iuvenile
In diesem Wettbewerb nehmen Schülerinnen und Schüler der Klassenstufen 9 bis 10 teil; sie sollten sich ebenfalls mit der Erzählung vom jungen Ionathas, dem Held der oben schon erwähnten Geschichte aus den „Gesta Romanorum“ beschäftigen. Diese etwas älteren Schülerinnen und Schüler sollten allerdings die ganze Geschichte lesen und danach an selbst ausgewählten Kapiteln der Geschichte durch genaue Textanalyse und Interpretation die Charaktere des Ionathas und seiner Freundin herausarbeiten.
Hier wurde der erste Platz zwei Mal vergeben; die Preisträger waren:
Erster Platz: Farah Anabell Bittner, Paul Sedello (Lucas-Cranach-Gymnasium, Lutherstadt Wittenberg)
Erster Platz: Martha Ulrich, Maria (Alex) Mädchen (Landesgymnasium Latina „August Hermann Francke“, Halle)
Dritter Platz: Anna Luca Becker (Norbertus-Gymnasium, Magdeburg)
Certamen Graecum et Latinum: für die Schüler der Schuljahrgänge 11 und 12
Nachdem in der ersten Runde (Übersetzung eines Textes aus dem Lateinischen) 171 Klausuren von 17 Schulen korrigiert worden waren, erreichten 92 Schülerinnen und Schüler die zweite Runde (wobei hier noch alle 17 Schulen im Rennen waren) – hier müssen sie eine Interpretations-Arbeit nach einem von sechs vorgegebenen Themen abliefern; diese Hausarbeit reichten dann 31 Schülerinnen und Schüler ein, die von 12 verschiedenen Schulen stammten. Die besten sieben aus dieser zweiten Runde erreichten dann die Endrunde, welche aus drei Teilprüfungen besteht: zunächst aus einem Vortrag zu einem selbstgewählten Thema aus der Antike, an den sich ein Kolloquium anschließt, danach zwei Einzelgespräche, in welchen die Jury die Persönlichkeit der Teilnehmer kennen lernen will.
Ganz besonders beeindruckend war aber, dass wir auch in diesem Jahr wieder so herausragende Kandidatinnen in der Endrunde hatten, dass wir den ersten Platz gleich drei Mal vergeben konnten:
Der erste erste Platz ging an die Schülerin Emilia Maraszek (Landesgymnasium Latina „August Hermann Francke): sie analysierte den Mythos von Pygmalion in Ovids Metamorphosen und zeigte, dass auch in der heutigen Zeit Menschen versuchen, den Menschen durch künstliche Eingriffe zu verbessern und damit, wie Pygmalion, zugleich Schöpfer und Geschöpf sind.
Der zweite erste Platz ging an die Schülerin Maike Trejbal (Lucas-Cranach-Gymnasium, Lutherstadt Wittenberg): sie beschäftigte sich mit den beiden wohl berühmtesten Gedichten Catulls für seine Geliebte Lesbia; die Gefühle, die sich hier zeigen, wirken bis heute auf uns, wenn wir die Gedichte lesen.
Der dritte erste Platz ging an die Schülerin Ruth Aurora Hollstein (Norbertus-Gymnasium, Magdeburg): sie stieg ein in die Welt der Odyssee des Dichters Homer und erläuterte, wie die Darstellung des Polyphem und der Phaiaken die Ängste und Hoffnungen der Kolonisten im antiken Griechenland widerspiegeln.
Diese drei Schülerinnen haben die Jury nicht nur durch ihre Kenntnisse der antiken Inhalte und durch die gelungene Aktualisierung beeindruckt, sondern haben sich auch nach den Vorstellungen und Vorgaben der Studienstiftung des deutschen Volkes als Personen vorgestellt, die mit hoher intellektueller Leistung, mit überdurchschnittlichem Engagement und großer sozialer Kompetenz ihren Weg im Leben gehen.
Als Preis erhalten sie die Aufnahme als Stipendiatinnen und Stipendiat in die Förderung der Studienstiftung des deutschen Volkes.
Den zweiten Platz erreichte die Schülerin Alaa Haj Yousef (Wilhelm-und-Alexander-von-Humboldt-Gymnasium, Hettstedt): Sie zeigte anhand von Texten der Autoren Vergil, Sallust und Livius, wie schon in der frühen Antike Flucht und Vertreibung menschliche Grunderfahrungen waren.
Sie gewinnt die finanzielle Unterstützung für eine Studienfahrt nach Griechenland. Dieser Preis wird gestiftet vom Freundeskreis der Franckeschen Stiftungen.
Den dritten Platz erreichte die Schülerin Katrin Maria Halloul (Ökumenisches Domgymnasium, Magdeburg): sie zeigte in ihrem Vortrag „Kriegsrechtfertigung im Laufe der Zeit – Caesars „bellum Gallicum“, der Irakkrieg und die Frage nach einem „gerechten Krieg“ die Parallelen in der Antike und der Neuzeit auf.
Sie gewinnt die finanzielle Unterstützung für eine Studienfahrt nach Italien oder in eines der Länder, die einst zum Imperium Romanum gehörten. Gestiftet wird dieser Preis von der Elisabeth-Lebek-Stiftung für Lebendiges Latein.
Die folgenden Schülerinnen erreichten die übrigen Plätze in der Endrunde; sie gewinnen wertvolle Bücher zu zentralen und bis in die heutige Zeit reichenden Themen der Antike. In alphabetischer Reihenfolge seien sie hier genannt:
Frida Maria Krummenerl (Landesgymnasium Latina „August Hermann Francke“): sie stellte anhand einer Ode, die der Dichter Pindar zu Ehren eines Faustkämpfers geschrieben hat, dar, wie hoch das Streben nach Ruhm und Ehre bei den Olympischen Spielen in der Antike war – und zeigte auch, inwieweit dieses Streben bei den heutigen Olympischen Spielen noch existiert.
Johanna Krause (Norbertus-Gymnasium, Magdeburg): sie analysierte in ihrem Vortrag das „Erbe des Tantalos“ und verglich anhand ausgewählter Stellen aus den Dramen der Dichter Aischylos, Sophokles und Euripides, wie unterschiedlich diese Autoren den Mythos der Atriden Atreus und Thyestes rezipiert und adaptiert haben.
Am Ende möchten wir uns bei unseren Sponsoren – dem Freundeskreis der Franckeschen Stiftungen und der Elisabeth-Lebek-Stiftung für Lebendiges Latein – ganz herzlich bedanken: ohne ihre großzügigen Geldgaben wäre dieser Wettbewerb nicht möglich.
Bedanken möchten wir uns auch bei allen Kolleginnen und Kollegen im Land Sachsen-Anhalt, die ihre Schülerinnen und Schüler bei der Teilnahme am Wettbewerb mit hohem Engagement unterstützt haben und damit ebenfalls zu einem guten Gelingen des Certamen Franckianum beigetragen haben.
Einen herzlichen Glückwunsch möchte ich allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern und deren Lehrerinnen und Lehrern aussprechen und für uns alle sagen: wir freuen uns auf ein Certamen vicesimum septimum im nächsten Jahr – mögen die Götter es uns gewähren, dass unser Wettbewerb auch im nächsten Jahr in gewohnter Weise stattfinden kann.
Stephan Mies
Halle, den 1. Juli 2022